Die Bundestagswahl rückt näher: Wen wählst du, Genosse?

Die Bundestagswahl rückt näher: Wen wählst du, Genosse?

Die Gesellschaft ist gespalten, aber war das nicht schon immer so? Wer da meint, in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gab es in Deutschland Einigkeit, hat nur scheinbar recht. Ja, die große Masse zog begeistert in den Krieg. Die Losung „Für Kaiser, Volk und Vaterland“ zeigte damals ihre Wirkung. Von der Arbeiterschaft bis hin zu den Intellektuellen aller Couleur fühlte man den Krieg wie eine erfrischende Badekur. Aber war das wirklich Einigkeit? Eher wohl eine fast perfekte Gleichschaltung von Gedanken, Einstellungen und Überzeugungen, die Millionen von Menschen in den Tod trieben.

Vier Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges kam die Ernüchterung: Der Krieg ging verloren, das Volk erhob sich, der deutsche Kaiser wurde verjagt. Die Spaltung der Gesellschaft bekam ein Aussehen: Kapitalisten, Militaristen, verräterische Sozialdemokraten auf der einen Seite, Soldaten, Arbeiter, Bürger, die keine Kriegsspiele mehr wollten, auf der anderen Seite. Als Kommunisten sagen wir es deutlicher: Die Spaltung zeigt sich im Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, zwischen der Klasse der Ausbeuter und den Ausgebeuteten oder noch deutlicher zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Der Friedensgedanke aber ist seit der Novemberrevolution nicht mehr auszulöschen, er verkörpert seither den gesellschaftlichen Fortschritt. Ohne Frieden kein Leben, keinen Fortschritt!

Wie werden Kommunisten am 23. Februar wählen? Ist Nichtwählen eine Lösung? Nein! Klassenkampf ist nicht nur der Kampf der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie, auch umgekehrt wird gefochten. Was als Parlamentarismus bezeichnet wird, ist nichts anderes als die Verschleierung der Diktatur der Bourgeoisie. Was als Demokratie bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit die Einschränkung der freien Entwicklung des Menschen. Die Wahlen sollen der Bourgeoisie die Mehrheiten im Parlament sichern, die im Parlament verabschiedeten Gesetze die uneingeschränkte Herrschaft.

Die gegenwärtigen Herrschaftsverhältnisse sind aus den Fugen geraten. Das heißt jedoch nicht, dass die Diktatur der Bourgeoisie in Deutschland schwächelt. Aus den Fugen geraten heißt vielmehr, dass die Regierungsparteien an die Grenzen ihres Einflusses auf die gesellschaftlichen Prozesse gestoßen sind und deshalb taktieren müssen. Neuwahlen machen sich da immer gut: Sie setzen scheinbar dem Bisherigen ein Ende, öffnen also eine neue „Politikausrichtung“. Es ist aber so, wie schon Lenin 1917 bemerkte:

„Die ganze Provisorische Regierung ist eine Regierung der Kapitalistenklasse. Es handelt sich um die Klasse und nicht um Personen. Personen persönlich angreifen, ihre Absetzung fordern, sei es direkt oder indirekt, ist eine leere Komödie, denn kein Personenwechsel ist imstande, etwas zu ändern, solange nicht die Klassen, die an der Macht stehen, gewechselt haben.“ (Lenin, Bd. 24, S. 185)

Das Dilemma der Bundestagswahlen am 23. Februar 2025 besteht für die Kommunisten in der Tatsache, dass keine Vertreter des Proletariats auf dem Wahlzettel stehen. Die Klasse der Ausgebeuteten wird nicht im Parlament vertreten sein, die Diktatur der Bourgeoisie wird triumphieren. Und trotzdem gehen wir zur Wahl! Leben braucht Frieden, der Friedensgedanke lebt. Auch in den bürgerlichen Parteien gibt es Befürworter des Friedens, setzen sich Menschen für mehr soziale Gerechtigkeit ein und bekennen sich zur grenzüberschreitenden Völkerfreundschaft. Wählen wir also nicht die Kanzlerkandidaten. Wählen wir an erster Stelle diejenigen, die für uns am glaubhaftesten für den Frieden zwischen den Völkern eintreten. Lassen wir sie später Rechenschaft ablegen, ob sie das Vertrauen verdient haben. Gleichzeitig müssen wir unsere eigene Partei so stärken, dass sie bei der nächsten Wahl nicht nur ein Wörtchen, sondern ein gewaltiges Wort mitsprechen kann. Aber noch viel wichtiger ist, dass sie sich als Motor des Klassenkampfes gegen das Ausbeuterregime erweist.

Harald Hertwig